Einige erstaunliche Fakten vom Quantum Industry Day in Switzerland, von denen ich nicht wusste, dass ich sie nicht wusste

Das erste, das ich am Quantum Industry Day in Switzerland wahrnehme, ist ein mobiler Raclettestand. Er steht recht prominent, ist man den roten Teppich abgeschritten, ist er die erste Station, vor der man landet. Darauf war ich gefasst. Raclette in der Schweiz: Soll mir keiner damit kommen, davon nichts gewusst zu haben. 

Was schon eher in die Kategorie „Ich wusste nicht, dass ich das nicht wusste“, passt, ist der Stand mit der Rolex. Gut, Uhren gehören sicher mindestens ebenso sehr zur Schweiz wie Käse, aber anders als am Käsestand, bei dem es wirklich nur ums Essen geht, geht es am Uhrenstand tatsächlich um das Thema des heutigen Tages: kleinste Teilchen.

Leider ist gerade niemand von Rolex am Stand, um mir genauer zu erklären, was ich da sehe. Ich muss mich mit dem Poster begnügen und auf dem, wie so oft, wenn es um Quanten geht, wieder einmal eine sehr, sehr große Zahl im Mittelpunkt steht. Konferenzsprache ist Englisch, daher zitiere ich im Original. „The use of rubidium atoms as the frequency standard in our atomic clock, excited with visible (optical) light, allows for obtaining frequencies 100.000 higher than those of the best commercially available atomic clocks.” 

Habe ich das also auch einmal gesehen. Etwas daneben kann man sich Kühlschränke aus Finnland erklären lassen. Bei den Ionenfallen ist leider wieder niemand anzutreffen, ich mache ein paar Fotos und beschließe, mir das Thema später im Eigenstudium zu erschließen. Bei IBM dann ein Exponat nach meinem Geschmack. Ein Buch. Ich blättere es einmal von vorne nach hinten und dann noch einmal von hinten nach vorne durch und lese mich schließlich fest an der Stelle, an der es um Quantum Advantage geht.

Bis vor einigen Tagen war mir der Begriff Quantum Supremacy geläufig. Ich habe schon an anderer Stelle darüber geschrieben. Die Idee ist, dass Quantencomputer herkömmlichen Computern überlegen sind oder eines Tages sein könnten. Streiten lässt sich nicht nur darüber, ob das schon so ist oder wie denn ein geeigneter Test überhaupt beschaffen sein muss, sondern auch darüber, ob der Begriff Supremacy überhaupt angemessen ist. Zuletzt hörte ich, es sei besser, von Quantum Advantage zu sprechen (womöglich, weil Quantum Supremacy an White Supremacy erinnert?). Besser sei Quantum Advantage. Heute erfahre ich, von Quantum Advantage spreche man nicht so gern. Besser sei Quantum Capabilities. Fortschritt auf der ganzen Linie, auch linguistisch.

Ein Ziel des Quantum Industry Day ist es, Forschung und Industrie zusammenzubringen. Soweit ich das beurteilen kann, gelingt das gut. Aus dem Vortrag von Dr. Maximilian Amsler von Bosch nehme ich mit, dass Forschung und Industrie bei Bosch sehr gut unter einem Dach zusammenpassen – und dass Bosch (ich glaube, mit Hilfe von IBM) bei der Materialforschung nicht irgendwann, sondern schon heute erfolgreich auf Quantencomputer setzt. 

Sehr praxisnah auch der Vortrag von Dr. Barbara Wellmann von Deloitte. Was ich nicht wusste: Deloitte veranstaltet einen jährlichen Wettbewerb, die Quantum Climate Challenge. Dabei geht es darum, innerhalb eines festgelegten Problembereichs Lösungswege zu finden, die auf Quantencomputern basieren. Dieses Jahr ging es um Fluten. Im Jahr davor um die Bindung von CO2 mit MOFs. Davor um Flugreisen. Was nächstes Jahr kommt, ist noch nicht bekannt, wohl aber, dass jeder eingeladen sein wird mitzumachen.

Einige erstaunliche Dinge über das CERN, von denen ich nicht wusste, dass ich sie nicht wusste

Neulich war ich am CERN. Für die, die es nicht wissen: Das CERN ist eine reichlich spektakuläre Angelegenheit. Wie spektakulär? Sehr spektakulär. 

Zu den vielen Dingen, mit denen ich mich nicht so gut auskenne, gehören auch Schönheitswettbewerbe. Ich weiß gerade einmal, dass es den Titel „Miss Universe“ gibt und dass man es anmaßend finden kann, einen solchen Titel überhaupt und dann auch noch Jahr für Jahr an eine Erdenbürgerin zu vergeben. Was wissen wir denn schon über das Weltall: Wohnt irgendwo da draußen nicht vielleicht eine Miss, die noch tausendmal schöner ist als die von hier?

Wir wissen es nicht. 

Dafür wissen wir aber andere Sachen über das Weltall. Zum Beispiel, wie kalt es ist, nämlich -270 Grad Celsius. Das ist ziemlich kalt, aber es gibt im Universum Orte, an denen es kälter zugeht. Das CERN ist einer davon. Die Magnete am Large Hadron Collider (LHC), zu beidem später mehr, müssen auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Das ist nahe am absoluten Nullpunkt, der bei -273,15 Grad Celsius liegt. 

Was wir auch wissen: Dass die Sonne sehr heiß ist. Wobei ich einschränken muss. „Wir“ wissen vielleicht, wie heiß die Sonne ist. „Ich“ weiß bloß, dass „wir“ es wissen – und ich weiß, dass ich, wenn ich es, was ich schon oft getan habe, nachschaue, wenig später wieder vergessen haben werde. Die Temperatur der Sonne ist eine dieser Zahlen, die mir zu groß sind, um sie mir merken zu wollen. 35 Grad Celsius am Meer, 80 in der Sauna, 240 für eine knusprige Pizza: Das sind Temperaturen, die ich mir vorstellen kann und die für meinen Alltag wichtig sind. 

Aber die Sonne? War die jetzt 150.000 Grad Celsius heiß? Oder waren es doch 1.500.000? Am CERN werde ich daran erinnert, dass keins davon richtig ist. Tatsächlich ist die Sonne 15 Millionen Grad Celsius heiß. Und jetzt kommt’s. Wenn am CERN im LHC die Teilchen aufeinanderkrachen, entstehen Temperaturen von bis zu 10 Billionen Grad Celsius.

Wieviel Millionen passen nochmal in eine Billion? Egal, ich schreibe das mal so auf:  

Sonne:  15.000.000 Grad Celsius
HLC:  10.000.000.000.000 Grad Celsius

Mir fällt keine passende Analogie zur Miss Universe ein, aber ich glaube, das CERN darf auch in wahrhaft universellen Maßstäben gemessen getrost als ganz schön hot bezeichnet werden. Vielleicht gibt es irgendwo da draußen eine Forschungseinrichtung, die noch tausendmal hotter ist als die hier. Aber auf der Erde ist das CERN einzigartig. Da waren wir also. Hier erzähle ich, was ich dabei gehört und behalten habe.

Einige erstaunliche Fakten über Quantencomputer, von denen ich nicht wusste, dass ich sie nicht wusste

Als Nicht-Techniker, der über Technik schreibt, freue ich mich immer, wenn ich bei der Recherche auf Techniker treffe, die zugeben, etwas Technisches nicht verstanden zu haben. Das macht mir das Schreiben leichter. Ich darf meine Texte dann nämlich kurz-fassen und unbestimmt halten. Weil alles andere für den Moment zu weit führen würde und vielleicht bei anderer Gelegenheit ausgeführt werden kann. Wofür der Platz gerade noch reicht, ist ein sinniges Zitat oder ein mehr oder weniger intellektueller Witz – und wer es doch unbedingt genauer wissen will, kann ja einfach hier oder da selber nachschauen. 

Ich lese, höre und schaue nun seit einigen Wochen zum Thema Quanten und Quantencomputer. Bislang habe ich noch niemanden gefunden, der von sich behaupten würde, die Quantenwelt verstanden zu haben. Womöglich trauen sich die Experten einfach nur nicht aus der Deckung, weil ihnen ausgerechnet einer ihrer Urväter, Richard Feynman, mit der Aussage „Wer glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden.“ einen echten Karrierekiller hinterlassen hat. 

Womöglich ist es aber auch wirklich schwierig, das Thema zu verstehen.

Vor diesem Hintergrund sollte es mir leichtfallen, über die Quantenwelt zu schreiben. Wenn schon der Mann, der mehr über Quanten wusste als die meisten anderen Menschen – darunter womöglich auch Albert Einstein – und der als Erster öffentlich die Idee eines Quantencomputers formulierte, zugibt, sein Thema nicht ganz verstanden zu haben: Dann darf ich Laie mich doch wohl noch kurzfassen, darf im Ungefähren bleiben und meine Wissenslücken mit sinnigen Zitaten oder mehr oder weniger intellektuellen Witzen übertünchen. Wie zum Beispiel diesem hier: „Wenn ich eine Meinung habe, aber meine Frau ist gerade nicht in der Nähe: Habe ich dann trotzdem unrecht?“

Natürlich darf ich das. Und so habe ich damit angefangen, über die Quantenwelt zu schreiben. Nur um sofort an mir selbst zu merken, dass das, was Physiker vom Übergang von der physisch erlebbaren Welt in die Quantenwelt berichten, für mich auch in diesem Fall zutrifft. Einige Regeln, so die Physiker, die in der physisch erlebbaren Welt für wahr befundenen werden, gelten nicht in der Quantenwelt und umgekehrt. 

So ist das auch mit mir und dem Schreiben über die Quantenwelt: „Über schwierige Stoffe ist leicht zu schreiben“ – diese Regel hat, zumindest für mich, in der Quantenwelt keinen Bestand. Über Quanten nachzudenken und zu schreiben, ist hart und ständig stolpere ich über Dinge, von denen ich nicht wusste, dass ich sie nicht wusste. Auf einige davon, die mich wirklich erstaunt haben, will ich jetzt eingehen.

Superposition

Superposition ist ein Begriff, den ich schon gehört hatte. Schrödingers Katze kommt in den Sinn, die kannte ich. Die soll, wenn jemand die Kiste aufmacht, in der sie steckt, entweder tot oder lebendig, aber solange die Kiste eben noch zu ist, gleichzeitig tot und lebendig sein.

Da geht es dann auch schon los mit dem Nichtwissen. Der Grund dafür ist schiere Faulheit. Ich hatte nie groß über die Katze nachgedacht. Ich hatte mich immer mit der einfachsten aller möglichen Erklärungen zufriedengegeben. Die Katze ist wie meine Kinder. Bin ich auf dem Heimweg, so mein Vergleich, und meine Kinder (die Katzen) sind daheim (in der Kiste), weiß ich nicht, wo sie sind. Sie können überall sein. Auf der Couch im Wohnzimmer. Auf dem Klo. Am Handy im Schrank. Vor dem Kühlschrank oder auf dem Weg vom Kühlschrank zur Couch. Solange ich nicht daheim bin, kann ich nur ungefähr sagen, dass sie hoffentlich zu Hause sind. In dem Moment, in dem ich den Schlüssel im Schloss umdrehe (die Kiste aufmache), sind sie dort, wo sie eben sind (tot oder lebendig). Das heißt nicht, dass sie, während ich noch unterwegs war, überall gleichzeitig waren. Es hieß nur, dass sie überall sein konnten.

Ganz normaler Alltag in jeder Familie: Was an dieser Geschichte so kompliziert sein sollte, dass sich die besten Physiker ihrer Generation damit abgaben? Das wollte ich nicht verstehen.

Wie gesagt: Ich war faul. Ich wusste nicht, was ich nicht wusste. Zum Beispiel, dass Schrödinger, von dem ich nicht wusste, dass er mit Vornamen Erwin hieß, das Gedankenspiel mit der Katze gar nicht deshalb erfunden hatte, weil er damit zeigen wollte, dass eine Katze theoretisch gleichzeitig tot und lebendig sein kann. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Er hatte die Katze in der Kiste, wie Michio Kaku in „Wettlauf um die Zukunft. Wie der Quantencomputer die Probleme der Menschheit lösen wird“ schreibt, deshalb erfunden, weil er zeigen wollte, dass die Regeln der Quantenmechanik nicht wahr sein konnten. Dass die Regeln, die er selbst mit beschrieben hatten, geradewegs ins Paradoxe führten. Dass nicht sein kann, was nicht sein kann. 

Wer das ähnlich sah, war einer, von dem jeder den Vornamen kennt. Einstein haderte damit, dass erst die Beobachtung (das Öffnen der Kiste) einen Zustand (tot oder lebendig) herbeiführen sollte. Es war doch offensichtlich, dass Dinge, die existieren, ganz unabhängig davon existieren, ob sich ein Forscher für sie interessiert oder nicht. Die Katze war schon bei Schrödingers in der Kiste, also nahm Einstein sich für sein Gedankenexperiment eine Maus. Einsteins Gedankenexperiment besteht nur aus einer einzigen Frage. Einstein soll es wiederholt mit Gästen durchgegangen sein und es geht so: Einstein zeigt auf den Mond, Einstein fragt seine Gäste, ob die glauben könnten, der Mond existiere nur, weil eine Maus ihn anschaue. Experiment Ende. 

Bestechend simpel, genau so wie Einstein es mochte, aber eine Katze in einer Kiste, in der auch noch ein Hammer, ein Geigerzähler, radioaktives Material und eine Flasche voller Giftgas steckt, ist natürlich spektakulärer als eine Maus, die „Kuckuck, da!“ spielt. Darum wundert es mich nicht, dass im Freiburger Science Shop in Freiburgs schöner Gerberau, in dem ich Kakus Buch gekauft habe, neben dem T-Shirt, auf dem drei Vögel abgebildet sind (der Wellen-, der Teilchen- und der Quantensittich) auch ein T-Shirt mit Schrödingers Katze, aber keines mit Einsteins Maus zu erwerben ist. 

Superposition. Der Begriff spielt nicht nur in der Quantenwelt eine Rolle. In der Welt, die wir sie sehen und anfassen können, ist Superposition überall. Das deutsche Wort dafür lautet Überlagerung. Was Superposition in der klassischen Physik bedeutet, ist nicht schwer zu begreifen. Wellen können sich überlagern. Sie können dadurch größer oder kleiner werden. Sie können sich auch durchkreuzen, ohne einander zu verändern. Man muss nicht Physik studieren, um das zu verstehen, man kann auch surfen gehen oder sich in die Badewanne legen. Sich überlagernde Wellen können sich auch gegenseitig aufheben. Das wissen Pendler mit Noise-Cancelling-Kopfhörern.

In der Quantenwelt ist Superposition aber mehr. Hier ist tatsächlich das gemeint, was Schrödingers Kiste von meiner Wohnung unterscheidet. In der Kiste befindet sich ein radioaktives Atom, das vielleicht, vielleicht aber auch nicht zerfällt. Das ist das Quantenereignis. Und solange das Ergebnis nicht gemessen, solange die Kiste nicht geöffnet, solange der Mond nicht von der Maus angeschaut wird, befindet sich das zerfallende Atom tatsächlich in einer Überlagerung, in einer Superposition mehrerer Zustände. Es ist nicht entweder zerfallen oder nicht zerfallen. Es ist zerfallen und nicht zerfallen. Das meint Superposition in der Quantenwelt – und auch, wenn es schwer zu glauben ist, gibt es dieses Phänomen doch genau so. Es ist nicht einmal besonders selten. Es ist, auch wenn Schrödinger und Einstein es nicht glauben wollten, sogar absolut üblich. Es passiert ständig und überall. Das wissen „wir“ heute.

Hier ist eine Sache, von der ich überhaupt nicht wusste, dass ich sie nicht wusste: Wie es dazu kam, dass die Zweifel, die die beiden schlauen Herren nicht nur in ihren Beispielen mit Katz und Maus, sondern auch in sehr viel schwieriger zugänglichen Veröffentlichungen und Vorträgen formuliert hatten, ausgeräumt wurden. Wie kam die Physik dazu, das vermeintlich Paradoxe, die Superposition, als Wirklichkeit zu akzeptieren? 

Sogar die Erklärbären auf YouTube machen es wie die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, und wie die Autoren der Bücher und Artikel, die ich dazu gelesen habe. Sie kommen sehr schnell an den Punkt, von dem ich oben behauptet habe, er mache mir das Schreiben leichter. Sie sagen, sie wissen es nicht. Oder können es nicht erklären. Oder sie versprechen, später darauf zurückzukommen. „Wenn Sie ein Neuling in der Quantenwelt sind, fragen Sie sich bestimmt, was es bedeutet, dass ein Atom irgendwie sowohl hier als auch dort ist“, schreibt Lee Smolin in „Quantenwelt – Wie wir zu Ende denken, was mit Einstein begonnen hat“. „Verlieren Sie nicht den Mut, wenn Sie das verwirrend finden. Sie haben ganz und gar das Recht, sich zu fragen, was das bedeutet. Das ist eines der zentralen Rätsel der Quantenmechanik. Im Augenblick genügt es jedoch, wenn Sie dies einfach als ein Rätsel akzeptieren, dem wir den Begriff „Superposition“ beilegen.“ Sie könnten auch einfach sagen, dass ich dafür noch zu klein bin. Und sie hätten Recht.

Ich habe eine Vermutung, warum es uns so schwerfällt, das Phänomen Superposition als wahr zu akzeptieren. Oder zumindest, warum es mir schwerfällt. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Ich habe keine Worte dafür, um etwas zu beschreiben, das allem widerspricht, wie ich die Welt mit meinen Sinnen wahrnehme. Dass ein Ding ein zwei Orten gleichzeitig sein soll. 

Ich weiß, dass es Dinge gibt. Ich weiß, dass Dinge sich bewegen. Ich kenne auch einige der Begriffe, die es braucht, um ein Atom zu beschreiben. ElektronenProtonen und Neutronen oder das Higgs-Boson, das berühmte Gottesteilchen. Ich kenne auch Wellen wie die oben beschriebenen in der Badewanne oder im Kopfhörer. Dinge und Bewegung. Mit beidem bin ich bestens vertraut, auf meine Art: Ich kann ganz ohne Formelsammlung einen Tischtennisball in die Ecke schmettern. 

Aber mit das vorzustellen, was ein unbeobachtetes Elektron anstellt, nämlich nicht wie meine Kinder im einen Moment an der Keksschublade und im nächsten Moment vor dem Tablet auf der Couch zu sitzen, sondern sich, obwohl es so klein ist, gleichzeitig um den ganzen Atomkern herum zu bewegen? Dafür fehlen mir die Worte.

Wie nennt man das, was die Quanten im Zustand der Superposition tun? Ich möchte es wabern nennen, aber dafür sind die Teilchen zu schnell. Ich möchte sie mit einem Nebel vergleichen, um sich im ganzen Raum zu verbreiten, braucht so ein Teilchen keine anderen Teilchen, das schafft es ganz allein. Was es gibt, ist, wie ich gelernt habe, der Ausdruck Atomorbital: Markiert man jeden Ort, an dem sich ein um den Atomkern schwirrendes Elektron aufhalten kann, mit einem Punkt, erhält man ein Bild mit vielen, vielen Punkten, die an einer Stelle sehr dicht aneinander liegen und sich nach außen hin ausdünnen. Für jeden Punkt gibt es gewisse Wahrscheinlichkeiten, dass sich das Teilchen dort aufhält. Aber wo ist da die Bewegung? Wo wird hier deutlich, dass ein einziges Elektron gleichzeitig mehr als einen Punkt auf dem Orbital hinterlassen kann? 

Ich weiß es nicht. In einem Text, in dem es um Dinge geht, von denen ich nicht weiß, dass ich sie nicht weiß, ist das nicht nichts. „Später“, verspricht Smolin seinen Leserinnen und Lesern zum Mysterium Superposition, „werden wir in der Lage sein, es zu enträtseln.“ Ich mag das Versprechen, Superposition verständlich zu machen, im Moment nicht lieber nicht geben. Aber Superposition wird später, im Zusammenhang mit Quantenbits, kurz Qubits, noch wichtig werden. Für den Moment springe ich lieber zum nächsten Ding über Quanten, von dem ich nicht wusste, wieviel ich darüber nicht wusste: Verschränkung.

James Lovelock: Novozän

„Es gibt offensichtliche Parallelen zwischen dem Turm eines Termitenbaus und den hohen Büro- und Wohnblocks, die in unseren heutigen Städten aus dem Boden schießen. Zunächst fand ich das deprimierend. Diese menschlichen Nester sind, wie die Termitenhügel, oftmals bewundernswerte architektonische Meisterwerke. Aber der Preis, den jede Termite zahlt, scheint hoch. Der einzelne Arbeiter, der einst frei in den Ebenen lebte, verbringt nun sein ganzes Leben damit, Dreck zu sammeln, ihn mit Kot zu vermischen und die stinkende Masse in der Wand des Baus oder an irgendeine Stelle zu kleben, die ihm sein integriertes Programm vorgibt.“

Mit dem Fahrrad über die Alpen (Teil 6)

Im letzten Post habe ich gelogen. Ich habe behauptet, mehr Privileg als in Freiburg zwischen zwei Bergen zu wohnen, geht nicht. Geht aber doch. Besser als jeden Tag zwischen Rosskopf und Kybfelsen wählen zu können, ist es, zusätzlich zwischen zwei Mountainbikes wählen zu können, von denen das eine nagelneu ist.

Ich kaufe mir nicht oft ein neues Fahrrad. Das letzte Mal war vor zehn Jahren. Ein Hardtail von Cube, erstanden für 800 Euronen, war das die beste Investition, die ich je getätigt habe. Mehr Fun pro ausgegebenem Euro geht nicht. Ich bin mit dem Rad, sehr, sehr glücklich und fahre damit nicht nur jeden Berg, den ich by fair means, also von der Haustür weg und aus eigener Kraft, erreichen kann hoch und wieder runter, sondern ziehe auch die Kinder im Hänger durch ganz Freiburg. Manchmal mache ich auch beides, also die Kinder auf Berge ziehen.

Zehn Jahre. Das ist länger, als Hans im Glück seinem Herrn dienen musste, um sich seinen Goldklumpen zu sichern. Wieviele Handys ich in der Zeitspanne, in der mich dieses eine Fahrrad treu getragen hat, verbraucht haben mag, weiß ich nicht. Rechner? Müsste ich nachzählen. Wenn ich überlege, welche meiner Besitztümer länger in meinen Diensten steht als mein Fahrrad, fallen mir nur solche Sachen ein wie Kochtöpfe. Und immer noch schnurrt mein Rad zufrieden wie ein sattes Kätzchen.

So ein Fahrradleben mag lang sein, die Produktzyklen in der Branche sind es nicht. Die meisten davon waren mir egal. Ob die Räder um ein paar Zoll wachsen müssen und dann doch wieder ein bisschen schrumpfen, aber nicht so sehr, dass wir wieder bei der Größe ankommen, die früher alle hatten, war mir in etwa so wichtig wie die Frage, welche Ventile die Luft drin halten. Es war mir, Hauptsache ich stehe nicht irgendwann mit einer nutzlosen Pumpe oder der falschen Schlauchgröße im Wald. Den Sinn einer remote steuerbaren Variosattelstütze verstand ich zwar, aber so eilig hatte ich es noch auf keinem Berg gehabt, dass ich, oben angekommen, nicht zwei Sekunden erübrigen konnte, um meinen Popo vom Sattel zu nehmen und letzteren von Hand runterzuschieben. E-Bikes nannte ich beharrlich und zugegeben mit offen zur Schau gestellter Arroganz Mofas und wenn mich Freunde fragten, ob ich mal ihr Fahrrad fahren wolle, nur damit ich mal wisse, wie das sei, lehnte ich dankend ab. Manchmal insistierten sie. Ich sagte dann, ich würde ja auch keine fremden Frauen küssen. So ernst war mir das mit mir und meinem Fahrrad.

Und jetzt habe ich es doch getan. Ich habe mir ein neues Fahrrad zugelegt. Ein Trek Fuel Ex 8. Bevor ich davon erzähle, wie ich das finde, will ich kurz davon erzählen, wie und wo ich mir das Ding gegönnt habe. Falls Sie eh schon Ihren lokalen Fahrradhändler unterstützen, können Sie die folgenden Absätze gern überspringen. Das können Sie übrigens auch, falls Sie eh skrupellos beim Versender bestellen. Sollten Sie jedoch selbst einmal ein neues Fahrrad kaufen wollen und noch zwischen stationärem Handel und Internet schwanken, könnten Sie meine Erwägungen vielleicht interessieren und das ganz unabhängig von meinem persönlichen Ergebnis (ich war beim Händler um die Ecke).

Zunächst einmal, mein Kauf war nicht spontan. Ich möchte sogar behaupten, er war das absolute Gegenteil. Ich kann das sogar belegen. Noch bevor ich überhaupt damit angefangen habe, mich nach passenden Modellen und Angeboten umzusehen, habe ich mindestens tausend Mal daran gedacht, mir jetzt doch langsam mal ein neues Fahrrad zulegen zu wollen und das mit den tausend Mal ist nicht einfach so daher gesagt, sondern ein reichlich educated guess. Mindestens tausend Mal musste ich nämlich in den vergangenen Monaten mein silbern-rotes Illy-Classico-Ganze-Bohnen-Kaffedöschen aufschrauben und Kleingeld reinschmeißen, um das nötige Kapital zu akkumulieren. Andere lagern ihre Euro oder Zwei-Euro-Stücke in der Hosentasche, meine wanderten in die Kaffeedose, Stück für Stück, was dazu führte, dass ich mir wirklich, wirklich Zeit genommen habe, meinen Wunsch nach einem neuen Fahrrad zu prüfen. Außerdem bin ich währenddessen zum Synästheten geworden. Für mich riechen Fahrräder jetzt nach Frühstück.

Drei Dosen waren mein Ziel und erst als die voll waren, fing ich an, auf den Trails genauer hinzuschauen. Was fuhren die anderen? Ich begann, im Internet zu recherchieren und ich stieß erstmalig auf die Frage: Fachhandel oder Versender? Bei den Versendern gibt es zwei große Namen, Canyon und Radon und wer wissen will, was die Bikes des einen von denen des anderen unterscheidet und worin sich diese wiederum von den Marken unterscheiden, die es im Laden gibt, landet bei Tabellen. In diesen Tabellen geben die Hersteller an, welche Komponenten sie an ihren jeweiligen Modellen verbaut haben.

Das macht die Sache sehr transparent, denn die einzelnen Bikes können so sehr einfach verglichen werden. Die Hersteller setzen nämlich allesamt auf Komponenten, die sie bei anderen Herstellern einkaufen und diese Komponenten behalten den Namen, den sie von ihren Herstellern bekommen haben. Sie sind sogar klar und deutlich lesbar aufgedruckt. Man kennt das vom Auto, da kann ja auch jeder Passant jederzeit nachschauen, ob das Auto auf Reifen von Dunlop oder von Goodyear fährt oder mit Vredestein. Bloß dass sich beim Auto niemand dafür interessiert, aus welchem Hause die Bremse kommt. Oder die Federung. Oder die Schaltgruppe, wobei gerne darauf hingewiesen wird, dass bei dieser unbedingt auf die Einzelteile Kassette, Kette, Umwerfer, Kurbel, Schalthebel und Schaltwerk zu achten ist.

Beim Fahrradkauf jedoch sind genau diese Fragen von höchster Relevanz und da das in der Branche so schön transparent gehalten wird, muss, wer wissen will, was ein Fahrrad taugt, lediglich in Erfahrung bringen, wie ein Hersteller, seine unterschiedlich hochwertigen Federgabeln, Scheibenbremsen oder Sattelstützen nennt und, natürlich, wie das die Mitbewerber handhaben und wie die verschiedenen Komponenten von Hersteller A im Vergleich zu denen der Hersteller B, C und D abschneiden. Mir ist kein anderer Markt bekannt, auf dem so deutlich wäre, bei welchem Fahrrad ich den besten Deal für mein Geld bekomme. Wer will, kann sogar die Preise für die einzelnen Komponenten selbst nachschlagen und so Teil für Teil nachvollziehen, was ein Fahrrad wert ist.

Mountainbiken: ein Hobby, das seinen Anhänger auch für die Zeit nach der Ausfahrt jede Menge Beschäftigung verspricht!

Zurück zur Frage Versender oder Händler: Beim Versender, so das nicht zu leugnende Ergebnis der Komponentenvergleichsrechnung, gibt es das gleiche Bike wie im Laden bloß für sehr viel weniger Geld.

(Exkurs: Wenn Sie sich fragen, ob es denn überhaupt nicht darauf ankommt, an welchen Rahmen die Komponenten geschraubt sind: Das tut es nicht. Die Rahmen kommen eh alle aus den gleichen Fabriken – Asien, Sweatshop, Umweltsauerei vor allem bei Carbon – und wenn jemand das Gegenteil behauptet und sagt, bei Rahmen gebe es sehr wohl Unterschiede und zwar beträchtliche, dann lassen Sie sich doch dieser Person erklären, was diese Testzeitschriften eigentlich meinen, wenn sie von einer „modernen Sitzposition“ sprechen oder von einem „gefräßigen Rumpf“. Ich kann das nämlich nicht.)

Ich hätte also bei Canyon eingeben können, wie groß ich bin, wie lang meine Arme und wie lang mein Schritt und das Neuron 7.0 bestellen können, mit dem schon mein Mitcrosser Pronto glücklich ist. Der Preis hätte genau gepasst. Stattdessen habe ich aber erst einmal in den Läden hier in Freiburg nachgefragt, was denn bei denen im Rahmen meines Budgets vorrätig war. Wobei ich darauf hinwies, dass ich mich auch mit einem Vorjahresmodell begnügen würde.

In die Auswahl kamen drei Räder. Das Stumpjumper von Specialized, das Fuel Ex 8 von Trek und eins von Willier, einem Hersteller, von dem ich noch nie gehört hatte. Von allen drei Rädern konnte ich online nachschauen, wie sie ausgestattet waren (und die Listen einem Kumpel mit genug Ahnung schicken, um schnell zu- oder abraten zu können). Auch ob sie mir passen würden, konnte ich dank Größenkalkulator bequem daheim prüfen. Vielleicht ist das in anderen Städten anders, aber hier in Freiburg waren alle drei Läden unkompliziert erreichbar. Ich konnte einfach mal vorbeischauen, mich auf meine drei Räder draufsetzen und feststellen, dass das Willier, das mir laut Internet exakt passen müsste, für meine Größe tatsächlich viel zu klein war. Keine Ahnung, was die bei Canyon in Koblenz oder meinetwegen auch bei Amazon in Sachen VR oder AR in der Pipeline haben, aber im Jahr 2020 wäre die Erkenntnis, dass mir das Willier viel zu klein war, im Internet nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden zu haben gewesen. Das also schon mal ein klarer Punkt pro lokaler Handel.

Blieben das Stumpjumper und das Trek vom Händler als Konkurrenz zum Versender-Canyon. Von der Ausstattung alle vergleichbar, lag das Stumpjumper um eine Dose über meinem Budget. Zu teuer eigentlich, aber wenn der Laden eh um die Ecke liegt und das Fahrrad fertig aufgebaut herumsteht…  Das Trek passte im Laden gut, also ließ ich meinen Geldbeutel da und rollte vor die Tür. Zweiter Punkt pro lokaler Handel: Aufs Rad nicht nur aufsteigen, sondern tatsächlich darauf fahren.

Wobei dieser Punkt in der Theorie sehr viel besser klingt als in der Praxis. Denn bis zu unseren Trails waren es zwar vom Laden aus nur ein paar hundert Meter, aber dass ich das Rad nicht hinaus in die freie Wildbahn führen durfte, war klar. Es sollte auch nach meiner Testrunde noch neu sein. Also schnell raus und schnell wieder rein. Zurück im Laden fragte der sehr freundliche und bestimmt überaus gelehrte Verkäufer, wie mir das Bike gefalle?

Ich muss dazu sagen, ich bin einer der Menschen, die sich in Läden nicht besonders wohl fühlen. Einen neuen Anzug zu kaufen, finde ich ganz schwierig. Im Fahrradladen musste ich zwar vor keinem Spiegel posieren und es wurde auch nicht an mir herumgezupft. Aber wie sollte ich auf diese Frage kompetent antworten?

Ob ich es da draußen mit einem gefräßigen Hinterbau zu tun gehabt hatte, vermochte ich beim besten Willen nicht zu sagen und obwohl ich sogar extra am Biosk – dem Wasserloch, an dem viele Freiburger Mountainbiker nach dem Downhill ihre Bikes und ihre Schlammspritzer zur Schau stellen – vorbeidefiliert war und nachgeschaut hatte, wie sich andere Gespanne hielten, war auch Frage offen geblieben, ob ich selbst dabei eine moderne Sitzposition innehatte. Ehrlich gesagt war mir da draußen nur ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Dass ich mich fühlte, als führe ich auf einem Kamel.

Nach der Probefahrt auf dem Stumpy ging ich per Pedes zum Biosk, holte mir einen Kaffee und sucht mir zwischen all den Aficionados mit ihren Hochleistungsmaschinen ein ruhiges Plätzchen zum Nachdenken. Ich resümierte. Erstens, ein Fahrrad zu kaufen, ist schwieriger als gedacht. Zweitens, das mit den Spezifikationen war mir zu kompliziert, da verließ ich mich besser ganz auf den Rat meines Kumpels. Drittens, ob das Gesamte aller Teile das für mich bestmögliche Gesamte aller Teile wäre, war vor dem Kauf unmöglich herauszufinden. Ich konnte nicht alle in Frage kommenden Modelle unter identischen Bedingungen so lange testen, bis ich genügend Erfahrung gesammelt hatte.

Es lief alles darauf hinaus, den Prozess zu vereinfachen. Ein akzeptables Angebot aufstöbern, das mit der Größe durch Probesitzen möglichst gut abschätzen und zuschlagen. Vielleicht würde ich das nächste Jahrzehnt nicht auf dem allerbesten aller für mich denkbaren Räder verbringen. Aber immerhin hätte ich eins – und zwar sicher kein schlechtes.

Ich sah mich um. Auf den Grünflächen rund um den Biosk abgelegt und an die Hecken zur Straße hin angelehnt parkten etliche Canyons, vielleicht prozentual sogar mehr als von jedem anderen Hersteller. Mit dem wäre ich auf der sicheren Seite. Wenn ich heute bestellte, käme es in ein paar Tagen bei mir daheim an. Pedale und Lenker festschrauben, sollte selbst mir gelingen und mein Grübeln hatte ein Ende. Mein Hobby war nicht übers Fahrradfahren grübeln, sondern Fahrradfahren. Die erstklassigen Trails rund um Freiburg nutzen. Die Borderline. Den Canadian. Den Badisch Moon Rising. Allesamt von Freiburger Bikern für Freiburger Biker angelegt – und nicht nur für die.

Als wir im Zuge einer sehr radikalen Besinnung auf lokale Urlaubsangebote unser Zelt auf dem Campingplatz Hirzberg aufgeschlagen hatten, parkte zwei Plätze weiter ein schicker VW-Bus mit Schweizer Kennzeichen. Der gehörte einem Pärchen, das einmal im Jahr extra zum Biken nach Freiburg fuhr und das obwohl sie selbst in den Alpen wohnten. Warum? Weil die Trails hier so geil sind. An die erinnerte ich mich jetzt. Und daran, dass sie selbstverständlich Mitglieder unseres Freiburger Vereins waren. Um ihn zu unterstützen. Weil sie dankbar waren, dass es ihn gab. Weil es die Trails, auf denen ich so gerne fahre, ohne unsere Community aus Bikern schlicht nicht gäbe.

Mit diesem Gedanken im Kopf ging in den letzten der drei Läden auf meiner Liste und dann ging auf einmal alles ganz schnell. Aus drei Kaffeedosen wurde ein neues Velo – und aus einem jahrelangen Hardtailfahrer wurde ein moderner, gefräßiger Kamelreiter.

Einmal über die Alpen fahren mit dem Fahrrad (Teil 5)

Von den fünf Freunden, die in diesem Spätsommer gemeinsam über die Alpen wollen, wohnt einer, Pronto, in unserer Zielregion, der Lombardei. Einer ist Cholo, der nicht mehr, wie noch zu Zeiten unseres Triathlons in den Anden wohnt und auch nicht mehr in Südostasien, sondern im Senegal. Weil Senegal den Luftraum gesperrt hat, bleibt er auch erstmal dort. Herr Schmidt, der ja auch immer viel unterwegs ist, hat es gerade noch so aus Kolumbien rausgeschafft und sitzt jetzt in seiner Wohnung in Heidelberg. Der vierte ist als Arzt im Krankenhaus gerade eh ganz gut eingespannt. Der fünfte bin ich.

Ich lebe in Freiburg, was das Mountainbiken angeht, eh schon eine reichlich privilegierte Stadt, in bester Lage. Wenn Freiburg das Tor zum Schwarzwald ist, wohne ich genau zwischen den Pfosten. Weil das Tor ein recht enges ist, brauche ich mit dem Fahrrad zum nördlichen Pfosten eine Minute und zum südlichen zwei. Auf beiden Seiten geht es direkt los, in den kleinen Gang schalten, zwei Mal links und zwei Mal rechts und schon bin ich mitten drin und ganz allein in unserem engmaschigen Trailnetz.

Mehr Privileg geht nicht in Zeiten von Corona, Social Distancing und mehr oder weniger freiwilliger Selbstquarantäne. Zumindest solange – wonach es im Moment aussieht, wird Fahrradfahren doch sogar ausdrücklich empfohlen – der Wald offen bleibt. Ich weiß das zu schätzen, versuche auch demütig zu bleiben und so weiter, aber ein kleines Grinsen darob, welch unverschämtes Glück ich in diesen schwierigen Zeiten habe, erlaube ich mir trotzdem.

Die ganze Welt ist ein Problem, außer man selbst

Es gibt Probleme, die mag ich. So sehr, dass ich eine ganze Halle davon haben möchte. So sehr, dass ich Geld für diese Probleme bezahle. Ich habe sogar ein Abo auf diese Art Problem und nehme so oft ich kann meine Töchter mit, auf dass sie sich an meiner Begeisterung für diese Art Problem anstecken, was schon allein deshalb überhaupt kein, äh, keine Herausforderung darstellt, weil diese Art Problem so schön bunt ist.

„Ich hab ein tolles neues Problem gefunden!“, ruft eines von uns begeistert und dann schauen die anderen mit offenem Mund dabei zu, wie das mit dem Problem versucht, es zu lösen und wie es wahrscheinlich daran scheitert, ein Scheitern, das mit einem satten Plumps des Popos auf den Boden seinen kichernden Abschluss findet und dann ist auch schon das nächste Problem dran.

Bouldern, das Klettern ohne Seil in Absprunghöhe: Eh ein toller Sport, mit Kindern doppelt und dreifach zu empfehlen. Das liegt nicht nur daran, dass beim Bouldern Eltern und Kinder, indem die einen die Gelben und die Grünen klettern und die anderen die Blauen oder die Orangenen (oder die Weißen, die Roten, die Schwarzen oder die Pinken, aber die kann ich nicht (oder wie die Kinder sagen „Die kannst du noch nicht“)).

Das liegt auch daran, dass beim Bouldern der ganze Mensch gefordert wird. Anfänger versuchen ihre Probleme mit Kraft zu lösen, heißt es, Fortgeschrittene mit Technik und Profis mit Köpfchen, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, egal, auf welchem Niveau eins bouldert: Es braucht immer Kraft und Technik und Köpfchen.

Vor allem aber liebe ich das Bouldern, weil die Probleme hier so viel Spaß machen. Vielleicht kennen Sie das: Sie wachen nachts auf, weil ein Kind sich geräuspert hat oder weil Sie aufs Klo müssen, Sie erledigen, was Sie zu erledigen haben und dann? Liegen Sie da, hellwach, obwohl Sie doch dringend schlafen müssten. Was tun Sie jetzt? Grübeln und an Ihre Probleme denken?

Nun. Denken Sie doch beim nächsten Mal nicht an Ihr Problem mit der Steuererklärung, sondern an das mit den bunten Griffen. Warum? Weil es mehr Spaß macht. Und weil Ihr Gehirn beim Bouldern ein Kunststück vollbringt, das bei Ihrer Steuererklärung leider, leider nicht klappen wird: daran denken hilft.

Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, heißt ist, sieht irgendwann in jedem Problem einen Nagel und auch das glaube ich nicht. Ich glaube stattdessen, was meine Tochter letztens auf dem Heimweg nach einem Besuch in der Halle sagte. Wir fuhren gerade die Urachstraße hoch, kamen an diesem Steinklotz vorbei, der dort mit einer Gedenkplakette versehen auf der Wiese steht, ein ziemlich großer Steinklotz, einer mit vielen Kanten und Scharten und Verwinkelungen.

„Denkst du, was ich denke?“, wollte ich von ihr wissen. Sie nickte, dachte noch einen Moment darüber nach und schob dann einen Satz hinterher. Sie sagte: „Eigentlich ist die ganze Welt ein Problem. Außer man selbst.“

Genau der gleiche Satz war mir, nachts in meinem Bett vor mich hinstarrend, schon öfters selbst durch den Kopf gegangen. Wer kennt den Gedanken nicht: Die ganze Welt ein einziges Problem, außer man selbst. Ich hatte ihn sicher schon oft in meinem Leben gedacht, aber dass man ihn mit echter Begeisterung aussprechen kann und mit echter Vorfreude darauf, jedes einzelne Problem dieser Welt zu lösen? Das war mir neu.

Herr Neugebauer

Ich kenne Herrn Neugebauer nicht persönlich, aber ich weiß jetzt, wo er arbeitet und wo er gerne arbeiten würde und das, obwohl Herr Neugebauer nicht einmal selbst mit mir im Zug sitzt, sondern nur der Typ, der ihn angerufen hat.

Und ich weiß etwas über ihn, das er noch nicht mal selbst weiß. Das mit dem neuen Job wird leider nichts.